Der Bürger ist weg!


Umzug des steuerpflichtigen Bürgers ins Ausland ohne Abmeldung – was muss das Finanzamt tun, um die neue Anschrift zu erfahren? – Beschluss des BFH vom 14.04.2011

Das Finanzamt hatte dem betroffenen Bürger Steuerbescheide zugestellt, und zwar – nach seinem Umzug in die Schweiz – im Wege der öffentlichen Zustellung.

Die öffentliche Zustellung ist eine besondere Form der Bekanntmachung (Zustellung) und kann nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Im Zivilprozess beispielsweise können die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung gegeben sein, wenn der Adressat im In- und Ausland unbekannten Aufenthaltes, seine Adresse nicht zu ermitteln und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Die Ausführung der öffentlichen Zustellung erfolgt dadurch, dass an der Gerichtstafel eine Benachrichtigung ausgehängt wird, aus der die Person oder Stelle, für die zugestellt wird, und der Zustelladressat mit Name und zuletzt bekannter Anschrift ersichtlich sind. Weiterhin muss das Datum und Aktenzeichen des zuzustellenden Schriftstücks, die Be-zeichnung des Gegenstandes und die Stelle, an welcher das Schriftstück eingesehen wer-den kann, angegeben sein. Auch muss in dem Aushang darauf hingewiesen werden, dass durch diese Benachrichtigung eine öffentliche Zustellung erfolgt. Je nachdem was zuge-stellt wird, enthält die Benachrichtigung noch Belehrungen und Hinweise dazu, dass durch diese Form der Zustellung Fristen in Gang gesetzt werden, deren Nichtbeachtung zu Rechtsverlusten führen können (§ 186 ZPO) (siehe z. B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Öffentliche_Zustellung#.C3.96ffentliche_Zustellung).

Im Klageverfahren war dann streitig, ob das Finanzamt die Zustellung der angefochtenen Bescheide im Wege der öffentlichen Zustellung vornehmen durfte. Von den Steuerbeschei-den erfuhr der – ohne ordnungs­ge­mäße Abmeldung bei der Meldebehörde seines letzten inländischen Wohnsitzes in die Schweiz verzogene – Kläger erst nach Ablauf der Ein-spruchsfrist durch Vollstreckungsmaß­nah­men. Das Finanzamt hat den daraufhin eingeleg-ten Einspruch wegen Verfristung als unzulässig verworfen.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (3 K 2542/08) hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 19. März 2010 abge­wiesen. Hiergegen hat der Steuerbürger Beschwerde zum Bundesfinanzhof eingelegt. Das Rechts­mittel hatte Erfolg (Beschluss des BFH, 10. Senat, vom 14.04.2011, Aktenzeichen X B 112/10).

Im Klageverfahren hatte der Kläger vorgetragen, dass das Finanzamt seine Adresse aus folgenden Gründen leicht hätte erfahren können:

  • Vor Anordnung einer öffentlichen Zustellung hätte das Finanzamt seine neue Adresse aus den vorliegenden Steuerakten sowie den gegen ihn gerichteten Strafakten ent-nehmen können.
  • Der Kläger sei alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer einer bei dem gleichen Finanzamt steuerlich geführten GmbH. Er hat Beweis dafür angetreten, dass für diese Gesellschaft ein Büroservice eingerichtet war, der nach dem Umzug des Klägers in die Schweiz u. a. wöch­ent­lich die Post an dessen neue Anschrift wei-tergeleitet habe. Auf an die Adresse der GmbH gerichtete Anfrage des Finanzamt nach der neuen Anschrift des Klägers wäre entweder direkt durch den Büroser-vice geantwortet, oder aber es wäre eine Anfrage an den Kläger weiter­ge­leitet worden.
  • Der Kläger hat dargelegt, dass das Finanzamt aus den Ermittlungsakten und den Veran­la­gungen der Vorjahre gewusst habe, dass der Kläger mit seiner damaligen Verlobten bis Anfang 2006 eine gemeinsame Wohnanschriften gehabt habe; die Verlobte habe die neue Adresse des Klägers gekannt und hätte sie auf Anfrage dem Finanzamt mitgeteilt.
  • Auch der im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Finanzamt befindliche Wohnsitz der Eltern des Klägers sei dem Finanzamt aus den Strafakten sowie durch die Mitteilung eines Lebens­versicherungsunternehmens bekannt gewesen; die Eltern hätten auf Anfrage dem Finanzamt ebenfalls Auskunft erteilt.
  • Zudem verweist der Kläger darauf, dass es dem Finanzamt bereits kurz nach Ablauf der Ein­spruchsfrist gegen die öffentlich zugestellten Bescheide gelungen sei, gegen den Kläger bei zumindest einem inländischen Kreditinstitut Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen, wes­halb es nahe gelegen hätte, dieses Kreditinstitut auch nach der aktuellen Anschrift des Klä­gers zu fragen.

Das Finanzamt hat zu alledem behauptet, die GmbH sei nicht erreichbar gewesen. Wieder-holte Zu­stell­versuche (wie oft das gewesen sei, wurde nicht verraten!) an die Anschrift der GmbH sowie an andere mögliche Adressen (auch solche Adressen wurden aber nicht genannt) seien fehl­ge­schlagen. Da­her wäre auch ein Versuch, über die GmbH die An­schrift des Klägers zu ermitteln, sinnlos ge­we­sen. Der Kläger hätte bewusst und gewollt durch seinen Umzug in die Schweiz die Zustellung der an­gefochtenen Bescheide verhin-dern wollen.

Der Kläger hielt diesen Vortrag des Finanzamts für unzureichend. Es sei weder mitgeteilt, aus wel­chem Grund eine Zustellung an die Anschrift der GmbH fehlgeschlagen sei, noch welche „anderen möglichen Adressen“ verwendet worden wären. Auch sei nicht vorgetra-gen, wann genau die behaup­te­ten Zustellungsversuche stattgefunden hätten und welche Ermittlungen das Finanzamt nach den an­­geb­lichen Fehlschlägen unternommen habe. Der Kläger hat weiter durch entsprechende Urkunden nach­gewie­sen, dass eine förmliche Zu-stellung des örtlichen Landgerichts unter der Anschrift der GmbH vorge­nommen worden ist, über die er noch am selben Tage unterrichtet worden sei.

Das Finanzgericht hat dennoch die Klage ohne weiteres mit der Begründung abgewiesen, dass nach den An­gaben des Finanzamts Zu­stel­lungen an die GmbH wiederholt fehlge-schlagen wären und sich das Gericht nicht ver­anlasst sehe, die Richtigkeit der Angaben des Finanzamtes in Zweifel zu ziehen.

Das war nach Ansicht des BFH schlicht zu wenig. Das Finanzgericht hat – so der BFH – seine Pflicht zur Sach­auf­klärung verletzt. Das Finanzgericht hätte nicht ohne eigene Er-mittlungen nur auf der Grund­lage der nach­voll­ziehbar bestrittenen Behauptungen des Finanzamts entscheiden dürfen.

Die öffentliche Zustellung in Fällen eines unbekannten Aufenthaltsorts des Empfängers (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes) sei nur als „letztes Mittel“ zu-lässig, und zwar dann, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft seien, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (BFH Urteil vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732, unter II.2.a aa, m.w.N.) Über routinemäßige Anfragen bei der Meldebehörde hinaus seien weitere Nach­for­schungen bei anderen Ein-richtungen oder Personen anzustellen, wenn der konkrete Sachver­halt  dies nahelege (BFH Urteil vom 15. Januar 1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81). Auch sei eine Befragung von Angehörigen (auch nach Auffassung der Finanzverwaltung!)  er­for­der­lich, bevor eine öffentliche Zustellung vorgenommen werden dürfe (Anwendungserlass zur Abga­benord-nung zu § 122 Nr. 3.1.5.1 in der Fassung des Schreibens des Bundesministeriums der Fi-nanzen vom 17. März 2011, BStBl I 2011, 241).

Die Feststellungen des Finanzgerichtes seien, so der BFH weiter, nicht ausreichend, um die Pflicht des Finanzamts  zur Vornahme von Wohnsitzermittlungen wegen einer auf Ver­heimlichung des Wohn­sitzes gerichteten Handlungsweise des Klägers zu verneinen. Das Fi­nanz­ge­richt hatte sich insoweit auf das BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03 be-rufen. In dem mit die­ser Entscheidung aus­ge­ur­teilten Sachverhalt war aber gegen den dortigen Steuerpflich­tigen ein Haft­befehl ergangen, dessen Vollstreckung er sich durch Flucht entzog; ferner hatte der da­malige Kläger nicht einmal gegenüber dem Finanzgericht seine Anschrift mit­ge­teilt! Damit sei, so der BFH, der hier entschiedene Fall nicht ver-gleichbar: Denn der Kläger hat dem Finanzamt sofort nach Kenntnis von  Vollstreckungs-maßnah­men seine aktuelle Anschrift mitgeteilt. Auch lag hier gegen den Kläger kein Haft-befehl vor.

Fazit: Das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz wurde aufgehoben. Der Einspruch des Klägers war rechtzeitig – nicht „verfristet“, und das Finanzamt wird sich nun mit den Ein-wendungen des Klä­gers gegen seine steuerliche Veranlagung inhaltlich auseinanderzusetzen haben.

Quelle:
juris GmbH Juristisches Informationssystem  für die Bundesrepublik Deutschland Guten­berg­straße 23, 66117 Saarbrücken; per internet:
http://www.juris.de/jportal/portal/page/anwaltsletter.psml?id=ANWL110600092

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