zu Bundespräsident Christian Wulff

Zur Versachlichung der heftigen Diskussionen um das Verhalten unseres Bundespräsidenten wollen wir beitragen, indem wir den nachfolgenden Artikel von Prof. von Arnim in unsere Website einstellen. Einen großen Teil der Fußnoten haben wir allerdings weggelassen, um den Umfang nicht zu groß werden zu lassen. Wer an dem vollständigen Text interessiert ist, kann diesen einsehen über den folgenden Link: http://rsw.beck.de/rsw/upload/NVwZ/NVwZ-Extra_2012_03.pdf

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Extra
In Zusammenarbeit mit der Neuen Juristischen Wochenschrift

Seite 1–9
31. Jahrgang
15. Februar 2012
Professor Dr. Hans Herbert von Arnim*
(* Der Verfasser lehrt als entpflichteter Universitätsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und ist Mitglied des dortigen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung. Er hat mehrere wissenschaftliche Werke über Korruption und ihre Bekämpfung herausgegeben. Er dankt Amtsgerichtsdirektor i. R. Dr. Hans-Jörg Münchbach, Dr. Sebastian Wolf, zwei strafrechtlichen und mehreren staatsrechtlichen Kollegen für die kritische Durchsicht früherer Fassungen dieses Textes und für wertvolle Hinweise. Alle möglicherweise verbliebenen Mängel gehen natürlich zu Lasten des Verfassers.)

Vorteilsannahme des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff?

Bundespräsident Wulff erhielt in seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident einen Kredit von 500 000 Euro von dem befreundeten Ehepaar Geerkens. Dieser Kredit wird – in Zusammenhang mit anderen Fällen von Gunsterweisen durch Geerkens und andere finanziell potente Freunde der Wulffs – seit einiger Zeit öffentlich diskutiert. Im Folgenden sollen die Gewährung und die Annahme des Kredits einer juristischen Wertung unterzogen werden, und zwar im Hinblick auf das niedersächsische Ministergesetz, die Niedersächsische Landesverfassung, das Grundgesetz und die §§ 331–334 StGB. Dabei wird der Sachverhalt zu Grunde gelegt, wie er sich übereinstimmend in sorgfältig recherchierten Medienberichten darstellt.

Bildzeitung v. 13. 12. 2011 („Hat Wulff das Parlament belogen?“); Bildzeitung v. 15. 12. 2011, S. 2 („Warum durfte der Freund mit auf Auslandsreisen?“); Der Spiegel v. 17. 12. 2011, S. 22–30 („Verführerischer Kredit“); Der Spiegel v. 23. 12. 2011, S. 24–26 („Gehobener Privatkunde“); Stern v. 22. 12. 2011, S. 36–42 („Schöne Bescherung“); Spiegelonline v. 30. 12. 2011 („Geerkens soll Wulff“ Bankkontakt vermittelt haben“); Spiegelonline v. 7. 1. 2012 („Wulff“s Ausweichmanöver“)

Ihn (Anm.: i. e. diesen Sachverhalt) greifen wir heraus. Nicht nur, weil hier inzwischen die relevanten Umstände hinreichend klar zu Tage liegen, sondern auch, weil hier der – den Vorwurf der Korruption begründende – Zusammenhang zu Amtshandlungen des Ministerpräsidenten meines Erachtens derzeit am deutlichsten belegbar erscheint. Die dargestellten Maßstäbe mögen aber auch dazu beitragen, dass weitere Sachverhalte, die in der Causa Wulff allmählich bekannt werden, rechtlich beurteilt werden können. Die juristische Analyse ist besonders angezeigt, wenn der Anschein entsteht, Staatsanwaltschaften und Gerichte könnten kaltgestellt werden, und deshalb die Behauptung des Bundespräsidenten, er habe als niedersächsischer Ministerpräsident stets legal gehandelt, einer gerichtlichen Klärung entzogen zu werden droht. Entscheidet die politische Macht in eigener Sache, ist eine Kontrolle durch Öffentlichkeit, parlamentarische Opposition und Wissenschaft umso wichtiger.

Vergleiche auch BVerfGE 40, 296 (227): Bei Entscheidung des Parlaments in eigener Sache sei Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle. Das muss auch gelten, wenn die Regierungspolitik insgesamt in eigener Sache handelt.

Vielleicht können auch nur sie (Anm.: gemeint sind hier die Öffentlichkeit, die parlamentarische Opposition und Wissenschaft) einer Staatsanwaltschaft, die bis hinauf zum Justizminister weisungsgebunden ist, Beine machen und sie sozusagen zum Jagen tragen.

I. Einschlägige Vorschriften
1. Niedersächsisches Ministergesetz

Unmittelbar einschlägig könnte das niedersächsische Ministergesetz sein. § 5 IV NdsMinG lautet: „Die Mitglieder der Landesregierung dürfen, auch nach Beendigung ihres Amtsverhältnisses, keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen. Die Landesregierung kann Ausnahmen zulassen. Sie kann diese Befugnis auf die Staatskanzlei übertragen.“

2. Beamtengesetze und Erlasse
a) Beamtengesetze.
Zusätzlich bietet es sich an, auf die Beamtengesetze zurückzugreifen, weil diese – hinsichtlich des Verbots, Geschenke anzunehmen – fast wortgleich wie das Ministergesetz lauten, die darin enthaltenen Wertungen anerkannter Weise auch für Regierungsmitglieder gelten und weil sie in den einschlägigen Kommentaren von Fachjuristen ausgiebig besprochen und interpretiert werden. Für das niedersächsische Ministergesetz gibt es keine derart umfangreichen Kommentierungen.

In Betracht kommen z. B. § 42 Beamtenstatusgesetz, der für Bund und Länder gilt, und § 71 BBG.
§ 42 BeamtStG lautet:
„(1) Beamtinnen und Beamte dürfen, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. Ausnahmen bedürfen der Zustimmung ihres gegenwärtigen oder letzten Dienstherren.
(2) Wer gegen das in Abs. 1 genannte Verbot verstößt, hat das auf Grund des pflichtwidrigen Verhaltens Erlangte auf Verlangen des Dienstherren herauszugeben, soweit nicht der Verfall angeordnet worden oder es auf andere Weise auf den Staat übergegangen ist.“

§ 71 BBG fügt noch folgenden Satz hinzu:
„Für den Umfang des Herausgabeanspruchs gelten die Vorschriften des BGB über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend. Die Herausgabepflicht nach S. 1 umfasst auch die Pflicht, dem Dienstherren Auskunft über Art, Umfang und verbleib des Erlangten zu geben.“

b) Ministerieller Erlass.
In der Zeit, als Christian Wulff niedersächsischer Ministerpräsident war, erging auf Beschluss der Landesregierung vom 22. 5. 2007 eine Verwaltungsvorschrift zu § 5 IV NdsMinG. Danach finden die Verwaltungsvorschriften für Beamte über das Verbot, Vorteile und Geschenke anzunehmen, „sinngemäß auf die Mitglieder der Landesregierung Anwendung“. Diese Vorschriften, die sozusagen eine amtliche Interpretation der gesetzlichen Vorschriften darstellen, besagen Folgendes:

„Auf Grund der generellen Gefahr für den Anschein der Empfänglichkeit für private Vorteile ist die Annahme folgender Leistungen grundsätzlich untersagt: … die Gewährung besonderer Vergünstigungen bei Privatgeschäften (z. B. zinslose oder zinsgünstige Kredite …)“. Vorteile, die die Beamtin oder der Beamte „im Rahmen privater Beziehungen erhält, … dürfen nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit“ des Amtsträgers „verknüpft sein. Erkennt die Beamtin oder der Beamte, dass an den persönlichen Umgang derartige Erwartungen geknüpft werden, so darf sie oder er weitere Vorteile nicht annehmen.“

„Es kommt auch nicht darauf an, ob der Vorteil von der zuwendenden Person unmittelbar oder in ihrem Auftrag von Dritten gewährt wird. Es ist auch ohne Bedeutung, ob der Vorteil der Beamtin oder dem Beamten unmittelbar oder nur mittelbar (z. B. Zuwendung an Angehörige) zu Gute kommt … Auf den Wert des Vorteils kommt es grundsätzlich nicht an. Dies gilt selbst dann, wenn im Einzelfall nach Art und Wert des Vorteils nicht anzunehmen ist, dass die Beamtin oder der Beamte dadurch in der Objektivität beeinträchtigt werden könnte, denn es muss schon der Anschein vermieden werden, im Rahmen der Amtsführung für persönliche Vorteile empfänglich zu sein.“

Speziell im Ministergesetz-Erlass heißt es: Erlaubt wird aus Gründen „des gesellschaftlichen Verkehrs und der Höflichkeit, denen sich die Mitglieder der Landesregierung nicht entziehen können“, lediglich die Annahme von Geschenken bis zu 10 Euro. Wertvollere Geschenke „gehen in das Eigentum des Landes über und werden vom jeweiligen Ressort verwaltet. Die haushaltsrechtlichen Bestimmungen sind zu beachten“. Wollen Regierungsmitglieder solche Geschenke behalten, „haben sie den vollen Wert an das Land zu entrichten“.

3. Strafgesetzbuch

Regierungsmitglieder und Beamte sind beide Amtsträger im strafrechtlichen Sinne (§ 11 I Nr. 2 a bzw. 2 b). Deshalb gelten auch die Vorschriften des Strafgesetzbuchs über Korruption im Amt für beide Gruppen, also auch für den niedersächsischen Ministerpräsidenten. Einschlägig sind hier die strafrechtliche Vorteilsannahme und die Vorteilsgewährung, möglicherweise aber auch Bestechlichkeit und Bestechung. Hinsichtlich der Regierungsmitglieder muss dann das Wort „Dienst“ sinngemäß jeweils als „Amt“ verstanden werden.

§ 331 I StGB. Vorteilsannahme.
(1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 333 I StGB. Vorteilsgewährung.
(1) Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 332 StGB. Bestechlichkeit.
(1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Versuch ist strafbar.
(Abs. 2 betrifft Richter und Schiedsrichter.)
(3) Falls der Täter den Vorteil als Gegenleistung für eine künftige Handlung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, so sind die Abs. 1 und 2 schon dann anzuwenden, wenn er sich dem anderen gegenüber bereit gezeigt hat,
1. bei der Handlung seine Pflichten zu verletzen oder
2. soweit die Handlung in seinem Ermessen steht, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen.“
§ 334 StGB. Bestechung.
(1) Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
(Abs. 2 betrifft Richter und Schiedsrichter.)
(3) Falls der Täter den Vorteil als Gegenleistung für eine künftige Handlung anbietet, verspricht oder gewährt, so sind die Abs. 1 und 2 schon dann anzuwenden, wenn er den anderen zu bestimmen versucht, dass dieser
1. bei der Handlung seine Pflichten verletzt oder,
2. soweit die Handlung in seinem Ermessen steht, sich bei der Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen lässt.

4. Grundgesetz
Art. 60 IV GG.
Die Abs. 2–4 des Art. 46 finden auf den Bundespräsidenten entsprechende Anwendung.
Art. 46 II GG.
Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.

II. Sachverhalt
1. Wer hat den Kredit gegeben?

Zunächst hatte Wulff jede Geschäftsbeziehung mit Egon Geerkens geleugnet. Dann aber sagte dieser laut Spiegel (Der Spiegel v. 23. 12. 2011, S. 24 f.), er habe den Kredit mit Wulff verhandelt und überlegt, „wie das Geschäft abgewickelt werden könnte“. Darauf räumte nach derselben Quelle auch Wulff über seine Anwälte ein, dass Egon Geerkens am Kredit beteiligt war: „Die Modalitäten wurden gemeinsam besprochen, das Darlehen von Frau Edith Geerkens gewährt.“ Auch die sonstigen Kontakte liefen primär über Egon Geerkens; weiter wurde bekannt, dass allein er Vermögen in die Ehe gebracht hatte. Alle diese Umstände deuten darauf hin, dass Edith Geerkens nicht die entscheidende Rolle bei der Kreditvergabe zukam.

2. Verbilligter Kredit
Den am 25. 10. 2008 vereinbarten Kredit mit einer vereinbarten Laufzeit von fünf Jahren, aber dem Recht Wulffs, vorzeitig zurück zu zahlen, erhielt Wulff für einen Jahreszins von 4%. Allerdings

– ohne dingliche Absicherung im Grundbuch, etwa durch eine Hypothek
– die Kreditsumme (500 000 Euro) war deutlich höher als der Kaufpreis des Hauses (415.000 Euro)
– die Wulffs waren berechtigt, den Kredit jederzeit, also auch vor Ablauf der fünfjährigen Vertragszeit zurückzuzahlen
– und sie brauchten nicht schon laufend zu tilgen, sondern mussten die Kreditsumme erst (spätestens) am Ende der Laufzeit insgesamt zurückzahlen, also zwischendurch keine Tilgungszahlungen leisten.

Alle diese besonderen Umstände bewirken, dass ein entsprechender Bankkredit sehr viel teuerer als 4% gewesen, also nur zu einem deutlich höheren Zins gewährt worden wäre. Nach Auskunft von Baufinanzierern hätte ohne Grundbucheintrag keine Bank einen so hohen Kredit gegeben. Jörg Sahr von der Zeitschrift „Finanztest“ setzt den „normalen“ damaligen Bankzins unter den genannten Konditionen bei 6–6,5% an. Nach Angaben von Reiner Reichel hätte die Münchner Hypo damals einen Zins von 5,23% verlangt. Die Bundesbank gibt den effektiven Zinssatz für dinglich gesicherte Wohnungsbaukredite an private Haushalte im Neugeschäft mit einer Laufzeit von einem bis fünf Jahren im Oktober 2008 mit 5,43% an. Eigenen Recherchen zufolge bei Sparkassen hätte ein dinglich ungesicherter Bankkredit an einen „guten“ Schuldner, wenn er überhaupt gewährt worden wäre, damals etwa das Doppelte des normalen Bankzinses gekostet.
Danach dürfte die Kreditgewährung, bezogen auf die fünfjährige Laufzeit, einen Vorteil für Wulff von mindestens 20 000 Euro ausgemacht haben, möglicherweise aber auch sehr viel mehr.

Der Umstand, dass Geerkens, wenn er die 500 000 Euro nicht Wulff gegeben, sondern sie anderweit fest angelegt hätte, für sein Geld möglicherweise auch keinen höheren Zins als 4% erhalten hätte und der Kredit an Wulff deshalb für ihn kein Nachteil war (was angesichts der mangelnden dinglichen Sicherung aber ohnehin zweifelhaft erscheint), ändert nichts daran, dass der Kredit für Wulff einen großen Vorteil bedeutete.

3. Reisen mit dem Ministerpräsidenten

Selbst wenn Geerkens die Kosten der Reisen selbst bezahlt hat, stellt seine wiederholte Mitnahme zu den Dienstreisen Wulffs (s. sogleich unter 5) einen gesellschaftlichen Prestigegewinn dar, der mit Geld gar nicht aufzuwiegen ist. Zudem verschaffen Reisen in Begleitung des Ministerpräsidenten einen völlig anderen Zugang zu einem Land als eine noch so teure Privatreise. Das beginnt dem Vernehmen nach mit der offiziellen Begrüßung und setzt sich in der Teilnahme an offiziellen Essen und Besichtigungsterminen fort, die in der Regel nicht im Programm privater Reisen stehen. Alles das dürfte für Menschen, denen Derartiges wichtig ist, einen hohen Mehrwert darstellen. Im Übrigen überrascht es, Geerkens in der den Ministerpräsidenten begleitenden Wirtschaftsdelegation zu finden, auch deshalb, weil er sich bereits im Ruhestand befand und deshalb keine Aufträge für die heimische Wirtschaft mehr einwerben konnte.

4. Verheimlichung

Wulff war vielfach bemüht, den Kredit von Geerkens geheim zu halten, was ihm auch lange gelang. Wie wir heute wissen, erfolgte die Gewährung der Kreditsumme durch einen am 18. 11. 2008 ausgestellten Scheck der Bundesbank, auf dem die wirtschaftliche Herkunft des Geldes nicht mehr ersichtlich, sondern gezielt verschleiert worden war. Auf die Frage der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Stefan Wenzel und Ursula Helmholt nach einer Geschäftsbeziehung Wulffs mit Geerkens ließ dieser die Staatskanzlei am 18. 2. 2010 im Landtag eine solche Beziehung in Abrede stellen, ohne dass sie aber erwähnte, dass Wulff, wie er später einräumen musste, eine solche sehr wohl mit dessen Ehefrau hatte. Auch das erscheint allerdings zweifelhaft, da Geerkens bei wirtschaftlicher Betrachtung wohl der eigentliche Geldgeber (und Frau Geerkens bloß eine Art „Strohfrau“) war (s. soeben unter 1).

Zudem löste Wulff kurz nach der Anfrage im Landtag, nämlich im März 2010, den Geerkens-Kredit durch einen Kredit bei der baden-württembergischen BW-Bank ab, was wie die Reaktion eines Ertappten anmuten mochte.

Auf eine spätere Anfrage des Stern, wer der Kreditgeber für das Haus der Wulffs sei, antwortete der Sprecher Wulffs noch am 17. 2. 2011, Darlehensgeber „war und ist die BW-Bank“. Und auf die weitere Nachfrage bestätigte der Präsidentensprecher erneut: „Auf Anfrage wurde der Kreditgeber genannt.“ So wurde der Geerkens-Kredit wiederholt versteckt, indem der Eindruck vermittelt wurde, die BW-Bank sei von Anfang an Kreditgeber gewesen.

Um die gut recherchierte Veröffentlichung des Geerkens-Kredits durch die Bildzeitung am 13. 12. 2011 zu verhindern oder eine Modifikation zu erreichen, scheute Wulff nicht
einmal davor zurück, kurz vorher massiv bei der Chefredaktion der Bildzeitung und der Verlagsleitung zu intervenieren. Er war offenbar so erregt, dass er sogar auf den Anrufbeantworter des Chefredakteurs Drohungen äußerte (Tagespresse von Anfang Januar 2012), die möglicherweise sogar eine versuchte Nötigung (§ 240 StGB) darstellen, und sich dadurch erst recht in die Hand dieses Mediums begab.

5. Der mögliche Bezug zum Amt

Der Bezug zum Amt kann in der Mitnahme des Egon Geerkens auf Auslandsreisen des Ministerpräsidenten gelegen haben, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Hauskauf und dem Kreditvertrag standen: Am 1. 10. 2008 schloss Wulff den Kaufvertrag über das Haus ab (wobei er die Finanzierung ja schon gesichert haben mussten). Am 2. Oktober nahm der Ministerpräsident auf seine persönliche Einladung hin Egon Geerkens erstmals mit auf eine Reise nach China und Indien (Stationen: Mumbai, Neu Delhi, Peking, Hafei), von der sie am 11. Oktober zurückkehrten. 14 Tage später gewährten die Geerkens den Wulffs den Kredit über 500 000 Euro. Geerkens war damals bereits in Rente. Der eigentliche Grund, warum Vertreter der Wirtschaft von Ministerpräsidenten mitgenommen werden, nämlich das Schaffen beruflicher Verbindungen und das Einwerben von Aufträgen für die heimische Wirtschaft, kann bei ihm also nicht vorgelegen haben. Da Wulff in seiner öffentlichen Erklärung vom 22. 12. 2011 bestritt, dass persönliche Freundschaften seine Amtsführung jemals beeinflusst hätten (s. auch unten III 3 a cc), kann die Mitnahme Geerkens eigentlich nur wegen der Kreditgewährung (und vielleicht noch anderer hier nicht zur Debatte stehender Gunsterweise durch Geerkens) erfolgt sein.

Zwei weitere Mitnahmen von Geerkens auf Ministerpräsidenten-Reisen erfolgten während der Laufzeit des Kredits, nämlich

• vom 14.–21. 3. 2009 nach Japan (Stationen: Tokushima, Osaka, Tokyo)
• vom 29. 9–5. 10. 2009 in die USA (Stationen: Los Angeles, Houston, Washington, Atlanta, Chattanooga).

Es fällt auf, dass außer diesen drei Mitnahmen, die alle in zeitlichem Zusammenhang mit dem Kredit stehen, keine weiteren Mitnahmen Geerkens durch Wulff erfolgten, weder vorher noch nachher, auch nicht während der aktiven Zeit von Geerkens. Die Auswahl und Zulassung der Mitreisenden stellt eine amtliche Handlung des Ministerpräsidenten dar. Ja, Wulff hatte Geerkens zur Mitreise nach Indien und Japan persönlich aufgefordert. Eine Genehmigung der Annahme des zinsgünstigen Kredits durch die Landesregierung oder die Staatskanzlei, die die Annahme ausnahmsweise legalisiert hätte (vgl. § 5 IV 2 und III NdsMinG), hat anscheinend nicht vorgelegen. Sie wäre – sozusagen in eigener Sache – ja auch ziemlich anrüchig gewesen. Im Gegenteil, nach den von der niedersächsischen Regierung unter Wulff erlassenen Verwaltungsvorschriften dürfen Regierungsmitglieder selbst Geschenke, die sie aus Gründen der Höflichkeit nicht ablehnen können, nur bis zum Wert von 10 Euro behalten (s. oben I 2).

III. Rechtliche Würdigung

1. Pflicht zu unvoreingenommener Amtsführung

Vorwegzuschicken ist, dass Amtsträger von Verfassungs wegen allein auf das Gemeinwohl verpflichtet sind und sich nicht von privaten Interessen und Freundschaften leiten lassen dürfen. Falls die Mitnahme des Egon Geerkens auf Auslandsreisen durch den Ministerpräsidenten „aus reiner Freundschaft“ erfolgte, wäre das bereits unzulässig. Dafür spricht ja auch, dass Geerkens sich bereits ins Privatleben zurückgezogen hatte. Andere Ruheständler, die ebenfalls kein Interesse haben konnten, Aufträge für die heimische Wirtschaft einzuwerben, dürften der Wirtschaftsdelegation wohl kaum angehört haben. Der Ministerpräsident darf von Rechts wegen keine Vetternwirtschaft betreiben.

2. Vergleich zwischen beamten- bzw. ministerrechtlichem und strafrechtlichem
Vorteilsannahmeverbot

Das beamten- bzw. ministerrechtliche und das strafrechtliche Vorteilsannahmeverbot weisen mehrere Überschneidungen, aber auch Unterschiede auf. Die Begriffe „Belohnungen und Geschenke“ im Sinne des Beamten- und Ministerrechts sind weitgehend identisch mit den „Vorteilen“ der strafrechtlichen Korruptionsvorschriften. Das Beamtenrecht kann man allerdings nur durch Annahme (nicht auch durch das Fordern oder das Sich-versprechen-lassen) eines Vorteils verletzen.

Auch Anstiftung und Teilnahme sind nur im Strafrecht rechtlich relevant. Der beamtenrechtliche Begriff „in Bezug auf das Amt“ ist etwas weiter als der strafrechtliche Begriff „für die Dienstausübung“, vor allem deshalb, weil dieser eine so genannte Unrechtsvereinbarung verlangt (s. unten 4 c). Zudem werden so genannte sozialadäquate Vorteilsgewährungen vom Tatbestand des § 331 StGB nicht erfasst. Das Beamtenrecht ist hier in der Regel strenger.

Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332 und 334 StGB) sind besonders gravierende Formen der Korruption. Sie unterscheiden sich von Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung (§§ 331 und 333 StGB) im Amt durch folgende Merkmale:

– Bestechlichkeit und Bestechung setzen voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine konkrete Amtshandlung gewährt bzw. angenommen, versprochen oder angeboten bzw. gefordert wird, sich also nicht nur allgemein auf irgendwelche Amtshandlungen bezieht.
– Sie verlangen grundsätzlich eine pflichtwidrige Handlung des Amtsträgers.

Insgesamt ist der Unrechtsgehalt von Verstößen gegen die strafrechtlichen Korruptionsvorschriften erheblich höher als gegen das Verstöße gegen die beamtenrechtlichen Vorteilsannahmeverbote.

Verstöße von Regierungsmitgliedern und erst Recht eines Ministerpräsidenten gegen das Ministergesetz dürften allerdings ernster zu beurteilen sein. Am gravierendsten sind Verstöße gegen die strafrechtlichen Bestechungsvorschriften der §§ 332 und 334 StGB. Das zeigt das angedrohte Strafmaß.

3. Beamten- und ministerrechtliche Vorteilsannahme

a) Gesetzesverstoß.

aa) Sinn des Geschenkverbots.
Dem Verbot der Annahme von Geschenken in Bezug auf das Amt liegt der Gedanke zu Grunde, dass Unbestechlichkeit und Uneigennützigkeit des Beamten eine der Grundlagen des Beamtentums bilden. Der Beamte wie der Minister sind verpflichtet, jeden Anschein zu vermeiden, dass sie in ihrer dienstlichen Tätigkeit durch Gefälligkeiten und Ähnliches beeinflussbar sein oder dass sie bei ihrer Amtsführung auch persönliche Interessen verfolgen könnten.

bb) Geschenke.
Die Annahme eines zinsgünstigen Kredits durch einen Beamten gilt nach übereinstimmender Auffassung der Kommentarliteratur rechtlich als Geschenk. Das gilt auch für Regierungsmitglieder. Die entgegenstehenden Äußerungen von Wulffs Anwälten erscheinen mir als Schutzbehauptungen.

cc) In Bezug auf das Amt.
Fraglich könnte sein, ob der Kredit über 500 000 Euro in Bezug auf das Amt des Ministerpräsidenten erfolgte. Mögliche Zweifel rühren daher, dass Geerkens offenbar ein langjähriger Freund Wulffs war und den Kredit deshalb „aus reiner Freundschaft“ (und nicht auch in Bezug auf die Mitnahmen) gegeben haben könnte, wie teilweise behauptet wird. Da niemand in die Menschen hineinsehen kann und ihre genauen Motive deshalb kaum zu ermitteln sind, kommt es im Bereich der Korruptionsprävention durchweg auf eine vernünftige Wertung der äußeren Umstände an. Dazu heißt es in einem führenden Kommentar:
Bestehen „dienstliche und private Beziehungen, ist die Grundlage einer Zuwendung nach dem Eindruck eines unbefangenen Dritten zu bestimmen, wobei der Wert in Bezug auf die konkrete Situation hilfreiches Indiz sein kann.

Erkennt der Beamte danach, dass private Vorteile mit ‚Absichten‘ im Hinblick auf die Amtsführung angeboten werden, verbietet sich die Annahme. Stets hat der Beamte zu beachten, dass er auch den bösen Schein zu vermeiden hat“.

Im vorliegenden Fall deutet alles darauf hin, dass der Kredit auch im Hinblick auf das Amt des Ministerpräsidenten erfolgte:

• der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Hauskauf, Auslandsreise und Kreditvereinbarung und -auszahlung (s. oben II 5)
• die hohe Summe des dinglich ungesicherten Kredits von 500 000 Euro und der erhebliche Umfang des daraus für Wulff fließenden Vorteils von mindestens 20 000 Euro (s. oben II 2)
• das intensive Bemühen Wulffs, den Kredit zu verheimlichen (oben II 4), wofür er sogar eine unvollständige, möglicherweise verfassungswidrige Aussage vor dem Landtag in Kauf nahm (unten 4 c cc) und einen dem Amt des Bundespräsidenten völlig inadäquaten Versuch unternahm, die Veröffentlichung des Geerkens-Kredits durch die Bildzeitung zu stoppen oder zu modifizieren, der möglicherweise sogar eine versuchte Nötigung darstellte
• der Umstand, dass die Mitnahme des Geerkens auf Reisen, wenn sie allein aus Freundschaft erfolgte, rechtswidrig war (s. soeben unter 1), der Ministerpräsident also, um Geerkens mitzunehmen, sogar das Risiko einer rechtswidrigen Amtshandlung in Kauf nahm. Geschah die Mitnahme aber nicht aus bloßer Gefälligkeit gegenüber Geerkens, wie Wulff in seiner Erklärung vom 22. 12. 2011 behauptet, kann sie eigentlich nur im Hinblick auf den Kredit erfolgt sein.

Für die Bejahung des Amtsbezuges ist es nicht erforderlich, dass es um ganz konkrete Amtshandlungen geht. Der Amtsbezug kann sich bereits „aus Zuwendungen zur ‚allgemeinen Pflege des Klimas‘ ergeben.“ Eine konkrete Leistung des Amtsträgers braucht also nicht vorzuliegen. Hier aber lagen sogar ganz konkrete Amtshandlungen zu Gunsten des Egon Geerkens vor, nämlich die Mitnahme unmittelbar nach Abschluss des Kaufvertrags und kurz vor Abschluss des Kreditvertrags sowie die später wiederholten Mitnahmen. Das verdichtet den Eindruck des Amtsbezuges der Kreditgewährung. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Erwartung Geerkens auf Mitnahme auf Reisen durch den Ministerpräsidenten, für diesen erkennbar, das einzige Motiv für die Kredithingabe war. Dazu heißt es im Kommentar:
„Selbst bei Vorliegen eines anderen oder mehrerer anderer Gründe ist der Amtsbezug zu bejahen, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der dienstlichen Tätigkeit zumindest mitkausal war“.

Das war nach allem hier der Fall. Die unerlaubte Verknüpfung der Vorteile mit amtlichem Handeln liegt vor.

dd) Ergebnis.
Danach ist auch der Bezug zum Ministerpräsidentenamt zu bejahen. Wulff hätte den Kredit also nicht annehmen dürfen. Durch die Annahme hatte er gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen. Es wäre ja auch eine merkwürdige Verdrehung des Rechts, wenn Wulff sich ausgerechnet durch die Behauptung, er habe die Mitnahme allein dem Freund zuliebe vorgenommen, er habe also ganz bewusst Vetternwirtschaft betrieben und damit rechtswidrig gehandelt, entlasten und vom Vorwurf der unzulässigen Geschenkannahme befreien könnte.

b) Konsequenzen.
Welche Konsequenzen kann der Gesetzesverstoß haben?

aa) Abführung des Mehrwerts an das Land.
Beamte müssten das pflichtwidrig Erlangte auf Verlangen des Dienstherren bzw. des früheren Dienstherren herausgeben (s. oben I 2). Minister haben keinen Dienstherren. Niedersächsische Regierungsmitglieder müssen aber – entsprechend den in der Zeit, als Wulff Ministerpräsident war, erlassenen Verwaltungsvorschriften von 2007 zum Ministergesetz (s. oben I 2) – den Wert eines Geschenks im Wert über 10 Euro, das sie aus Gründen der Höflichkeit nicht ablehnen konnten, an das Land Niedersachsen abführen. In dieser wohl auf Gastgeschenke bezogenen Vorschrift kommt der allgemeine Gedanke zum Ausdruck, dass Regierungsmitglieder Geschenke nicht behalten dürfen. Das muss erst recht gelten, wenn sie die Geschenke von vornherein gar nicht annehmen durften. Im Falle Wulffs betrug der Schenkanteil des Kredits, der an das Land abzuführen ist, mindestens 20 000 Euro (s. oben II 2). Diese Pflicht setzt kein Disziplinarverfahren voraus, welches gegen Regierungsmitgliedern ja nicht vorgesehen ist (§ 8 II NdsMinG).

bb) Anklage vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof?
Regierungsmitglieder können, so die niedersächsische Verfassung, vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden, wenn sie möglicherweise „in Ausübung ihres Amtes vorsätzlich die Verfassung oder ein Gesetz verletzt haben.“ (Art. 40 I NdsVerf). Darauf verwies der CDU-Vorsitzende im niedersächsischen Landtag am 20. Dezember und begründete damit die mehrheitlich abgelehnte Befassung des Ältestenrates des Landtags mit der Causa Wulff.

In Betracht kommt hier die nach § 5 IV NdsMinG verbotene Annahme des zinsgünstigen Kredits von Geerkens, darüber hinaus auch eine mögliche Verletzung des Verfassungsgebots, Anfragen von Abgeordneten im Landtag grundsätzlich „nach bestem Wissen und Gewissen unverzüglich und vollständig zu beantworten (Art. 24 I NdsVerf). Ein Verfahren gegen ein Regierungsmitglied kann auch nach dessen Rücktritt noch eingeleitet werden (Art. 40 II 2 NdsVerf). Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss aber von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Landtags gestellt werden. Die Anklage selbst bedarf dann einer Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags (Art. 40 I 2 i. V. mit 17 II NdsVerf).

Auf die Immunität, die er als Bundespräsident genießt, kann Wulff sich dabei nicht berufen. Diese schützt ihn nur davor, „wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung“ zur Verantwortung gezogen zu werden (Art. 60 IV i. V. mit 46 II GG). Der Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz ist aber keine Straftat in diesem Sinne. Ohne Mitwirkung der CDU/FDP-Regierungsfraktionen kann eine solche Anklage gegen Wulff aber nicht zu Stande kommen. Das erscheint vorerst politisch nicht sehr wahrscheinlich, da diese Parteien auf Bundesebene Christian Wulff de facto zum Bundespräsidenten gemacht haben.

cc) „Selbstanzeige“ des Bundespräsidenten?
Jedes Mitglied der niedersächsischen Landesregierung kann mit Zustimmung der Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs über den gegen das Mitglied in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwurf, in Ausübung des Amtes ein Gesetz verletzt zu haben, beantragen. Auch das ist noch nach Beendigung des Amtes möglich (Art. 40 III NdsVerf). Wulff ist als früherer Ministerpräsident berechtigt, einen solchen Antrag zu stellen. Da Wulff in seiner Erklärung vom 22. 12. 2011 und in seinem Fernsehinterview mit ARD und ZDF behauptet, er habe stets legal gehandelt, müsste er, wenn er es damit ernst meint, eigentlich einen solchen Antrag stellen, um sich aus berufenem Munde bescheinigen zu lassen, dass er das Ministergesetz nicht verletzt habe.

4. Strafrechtliche Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und Vorteilsgewährung (§ 333StGB)?

Neben einer Verletzung des niedersächsischen Ministergesetzes kommt auch ein Verstoß gegen Vorschriften des Strafgesetzbuchs in Betracht, nämlich gegen das Verbot der Vorteilsannahme i. S. des § 331 StGB und der Vorteilsgewährung i. S. des § 333 StGB (s. oben I 3). In einem solchen Fall müssen normalerweise die Ermittlungsbehörden prüfen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. Bei hinreichendem Tatverdacht hat die Staatsanstrongwaltschaft regelmäßig Anklage zu erheben/strong (§ 152 II StPO). Darauf entscheidet das zuständige Strafgericht. Im Falle des Bundespräsidenten hat die Staatsanwaltschaft allerdings vorweg die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten durch den Bundestag zu beantragen (Art. 60 IV i. V. mit 46 II GG, s. oben I 4). Geerkens besitzt keine solche Immunität.

a) Sinn der Antikorruptionsvorschriften.
Rechtsgüter der Vorschriften der §§ 331 ff. StGB sind die Lauterkeit des öffentlichen Amtsführung und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit.

b) Unproblematische Tatbestandsmerkmale.
Bei der Prüfung, ob die Annahme des Kredits auch einen Verstoß gegen § 331 StGB darstellt, ist zunächst festzustellen, dass Ministerpräsidenten Amtsträger im Sinne dieser Vorschrift sind (oben I 3), der verbilligte Kredit auch einen „Vorteil“ darstellte, den der Ministerpräsident für sich und seine Ehefrau angenommen hatte (oben II 4), und dass die Mitnahme eine Amtshandlung war, also in „Dienstausübung“ erfolgte (oben II 5).

c) Für die Dienstausübung.

aa) Gesamtbetrachtung erforderlich.
Entscheidend ist, ob dieser Vorteil auch „für“ die Dienstausübung gewährt wurde, die vorher vorgenommen oder für später in Aussicht gestellt wurde (so genannte Unrechtsvereinbarung). Nicht erforderlich ist es allerdings, dass es „tatsächlich zu einer Unrechtsvereinbarung kommt“; vielmehr reicht es aus, dass das Angebot des Vorteils mit auf eine solche Übereinkunft gerichtet ist. Für die Annahme einer solchen Kreditvereinbarung kommen die unmittelbar nach dem Abschluss des Kaufvertrags, bei dem die Kreditzusage ja vorgelegen haben muss, erfolgte Mitnahme und die künftig zu erwartenden (und bald darauf ja auch erfolgten) beiden weiteren Mitnahmen durch den Ministerpräsidenten in Betracht. Für die Beurteilung kommt es auf die Gesamtlage an. Nach der Rechtsprechung des BGH sind die Gesamtumstände des Falls maßgebend, sie müssen in wertender Betrachtung zueinander in Beziehung gesetzt und gewürdigt werden.

bb) Erweiterung des Tatbestandes durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz.
Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption von 199739 das nach wie vor unverzichtbare Erfordernis der Unrechtsvereinbarung hinsichtlich seines Bezuges auf die Diensttätigkeit des Amtsträgers gelockert. Bei der Vorteilsannahme des § 331 StGB und der Vorteilsgewährung des § 333 StGB wird jetzt „auf den Nachweis verzichtet, dass der Vorteil gerade als Gegenleistung für eine bestimmte Handlung erbracht wurde. Vielmehr genügt, dass er allgemein für Dienstausübungen erstrebt oder gewährt wird.“40 Es reicht also in der Regel aus, dass die Zuwendung für das ‚allgemeine Wohlwollen‘, die ‚Geneigtheit‘ des Amtsträgers oder zur ‚Klimapflege‘ in amtlichen Angelegenheiten gewährt wurde. Mit der Tatbestandserweiterung sollten, insbesondere „hohe Zuwendungen, die keinen Diensthandlungen zugerechnet werden können“, erfasst werden. Es braucht – genau wie beim ministergesetzlichen Annahmeverbot von Geschenken – keine konkrete Leistung vorzuliegen.

cc) Erdrückende Indizien.
Hier aber kommen sogar ganz bestimmte Handlungen des Ministerpräsidenten zu Gunsten von Egon Geerkens in Betracht, die kurz vor und auch nach der Vorteilsgewährung, also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dieser, vorgenommen wurden. Dass das Einverständnis (Unrechtsvereinbarung) der Beteiligten vorlag, die Vorteilsgewährung auf diese bestimmten Handlungen zu beziehen, wird man nach dem bisher erkennbaren Sachverhalt zwar nicht sicher belegen können. Dies ist nach der Erweiterung des Tatbestandes durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption aber auch gar nicht erforderlich. Jene Handlungen stellen jedenfalls ein wesentliches Indiz dafür dar, dass die Zuwendung des Vorteils im allgemeineren Sinne „für die Dienstausübung“ erfolgt ist. Der Kaufvertrag (bei dessen Abschluss die Kreditzusage schon vorgelegen haben muss) wurde am 1. Oktober abgeschlossen, am 2. Oktober startete man gemeinsam nach Indien und China, und kurz nach der Rückkehr wurde die Kreditvereinbarung getroffen. Zwei Mitnahmen erfolgten dann noch während der Laufzeit des Kredits (oben II 5). „Dienstliche Berührungspunkte zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger“, die ein wesentliches Indiz für das Vorliegen der Unrechtsvereinbarung darstellen, liegen also offensichtlich vor.

Zu weiteren Anhaltspunkten zählen, wie der BGH betont, „die Art“ und „der Wert“ des gewährten Vorteils. Auch „die Heimlichkeit des Vorgehens“ sieht der BGH als ein für die Beteiligten schädliches Indiz an. Diese Indizien liegen hier alle vor: Wulff hat Egon Geerkens persönlich aufgefordert, mit zu fliegen. Die Mitnahmen erfolgten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Zusage und der Gewährung des Kredits. Weitere Mitnahmen erfolgte weder vorher noch nachher (oben II 5). Die Gewährung des ungesicherten Kredit in Höhe von fast 120% des Kaufpreises für einen Zinssatz von 4% stellte für Wulff einen ungewöhnlich hohen Vorteil von mindestens 20.000 Euro dar (oben II 2).

Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption sollte gerade die Erfassung „hoher Zuwendungen“, erleichtert werden. Hinzu kommen die mit großer Energie vorgenommenen, immer wiederkehrenden intensiven Verheimlichungshandlungen Wulffs. Auch jüngst wurde auf Nachfragen der Presse noch getrickst und der Geerkens-Kredit verborgen gehalten. Wulff versuchte sogar, durch persönliche Telefonanrufe, die möglicherweise eine versuchte Nötigung darstellen, den Chefredakteur und die Verlagsleitung der Bildzeitung von der Veröffentlichung des Geerkens-Kredits abzuhalten oder diese zu modifizieren. Bereits gegenüber dem Landtag war die ganze Wahrheit verschwiegen worden (oben II 4), obwohl die Regierung von Verfassungs wegen verpflichtet ist, Anfragen von Abgeordneten im Landtag grundsätzlich „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten.“ (Art. 24 I NdsVerf).

dd) Die Freundschaft zwischen Wulff und Geerkens ist keine Entlastung.
Bei Vorteilen in der Größenordnung eines verbilligten Kredits über 500 000 Euro kann der Bezug zur umfassenden Diensterweisungsmöglichkeit eines Ministerpräsidenten schwerlich durch die Behauptung eines bloß privaten Verhältnisses aufgehoben werden. Die Rechtsprechung toleriert Sympathieerweise regelmäßig nur, wenn die personale Beziehung von ihrer Intensität her die Gemeinwohlorientierung des Amtsträgers nicht gefährden kann, also bei relativer Geringfügigkeit. Das ist überzeugend. Denn insbesondere bei einem Verhältnis wiederholten und vom Gewicht her erheblichen „Austauschs“ von Zuwendungen einerseits und Amtshandlungen/Amtsausübung andererseits dürfte die Berufung auf „Freundschaft“ die vom Zweck des Gesetzes her gerade verbotene Infizierung der Amtsausübung durch private Beziehungen nicht etwa ausschließen, sondern eher bestätigen: „Freundschaft“ steht dann für die Korrumpierungsgefahr, die der weit gefasste Tatbestand der Vorteilsannahme nach § 331 StGB gerade erfassen soll. In der von der Rechtsprechung geforderten Abgrenzung nach fallbezogenen Umständen in der Gesamtschau aller Indizien ist also eine andere Zielsetzung der Vorteilsannahme als der Bezug auf die Amtsausübung alles andere als „plausibel“. Auch die „Heimlichkeit“ der Vorgehensweise, die die Beteiligten in geradezu exzessiver Weise praktiziert haben, bestätigt regelmäßig, dass die Beteiligten selbst von einer unzulässigen Verknüpfung ausgingen, die im Hinblick auf die an sich gebotene Neutralität und Objektivität der Amtsausübung das Licht der Öffentlichkeit scheuen musste.

ee) Vorsatz.
Alle genannten Umstände konnten dem Ministerpräsidenten Wulff nicht verborgen geblieben sein, so dass auch Vorsatz anzunehmen ist.

d) Ergebnis.
Folgt man dieser rechtlichen Würdigung, so liegt die Annahme nahe, dass eine vorsätzliche Verletzung des strafrechtlichen Tatbestandes des § 331 StGB durch den damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff vorlag. In jedem Falle liegen derart gewichtige Anhaltspunkte vor, dass staatsanwaltliche Ermittlungen in Bezug auf § 331 StGB unausweichlich erscheinen. Dasselbe dürfte auch hinsichtlich einer möglichen Vorteilsgewährung durch Geerkens (§ 333 StGB) gelten.

e) Bestätigung durch Vergleich mit dem Fall Utz Claassen.
Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch den Vergleich mit dem vom BGH entschiedenen Fall des Utz Claassen, gegen den wegen hinreichenden Tatverdachts Anklage erhoben worden war und der nur äußerst knapp an einer Verurteilung wegen Vorteilsgewährung nach § 333 StGB, der Parallelvorschrift zu § 331 StGB, vorbeischrammte. Damals ging es um die Versendung von Gratis-Eintrittskarten für Fußballspiele bei der Weltmeisterschaft 2006 an Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung. Dieser Fall war bei Würdigung der gesamten Umstände aber sehr viel weniger gravierend als der vorliegende, so dass die im Falle Claassen erreichte Grenze der Strafbarkeit hier eindeutig überschritten sein dürfte: Schon der Wert der Geschenke war ungleich viel niedriger als im Falle Wulff; der Wert der Eintrittskarten war, wie der BGH ausführt, dadurch noch weiter gemindert, dass die Mitglieder der Landesregierung ohnehin freien Zugang zu allen WM-Spielen in Stuttgart hatten. Zudem war das Vorgehen Claassens gerade „nicht durch Verschleierung bzw. Heimlichkeit geprägt“, sondern durch Offenheit und Transparenz. Diese Merkmale, die es dem BGH bei Claassen ermöglichten, seine Strafbarkeit gerade noch zu verneinen, liegen bei Wulff nicht vor.

f) Geerkens.
Wegen der spiegelbildlichen Entsprechung von Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) liegt es nahe, eine entsprechende Straftat des Geerkens anzunehmen.

5. Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332 und 334 StGB)

Falls die Mitnahme Geerkens auch aus Freundschaft erfolgte, war sie rechts- und damit auch p!ichtwidrig (s. oben III 1). Zudem kommen hier mit den Mitnahmen Geerkens auf Reisen ganz bestimmte Amtshandlungen des Ministerpräsidenten als Gegenleistung für den günstigen Kredit in Betracht. Damit sind auch die zusätzlichen Tatbestandsmerkmale der Bestechung gegeben (s. oben 4 c cc). Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass hier sogar die gravierenderen Bestechungsdelikte der §§ 332 und 334 StGB vorliegen.

6. Immunität des Bundespräsidenten

Nach Art. 46 II GG darf ein Bundestagsabgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestags wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung … zur Verantwortung gezogen … werden“. Davon sind grundsätzlich auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfasst. Diese Regelung findet kraft Verweisung in Art. 60 IV GG auch „auf den Bundespräsidenten entsprechende Anwendung“ (s. oben I 4). Das Verfahrenshindernis besteht allerdings nur für die Amtsdauer des Bundespräsidenten. Damit danach ungehindert ermittelt und verfolgt werden kann, ruht die Verjährung der Tat in dieser Zeit (§ 78 b II StGB). Für die Genehmigung einer Verfolgung während der Amtszeit des Bundespräsidenten ist der Bundestag zuständig. Das besagt die Verweisung auf Art. 46 II GG. Eine rechtspolitisch vielleicht sinnvoller erscheinende Genehmigung durch die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten gewählt hat (Art. 54 GG), kommt nicht in Betracht, da diese nur für die Wahl bestanden hatte und jetzt nicht mehr existiert. Allerdings gibt der Bundestag Ermittlungsverfahren gegen Bundestagsabgeordnete generell frei, so dass zu ihrer Durchführung keine spezielle Genehmigung mehr erforderlich ist. Diese Regelung dürfte – wegen der sehr viel größeren Bedeutung von Ermittlungen gegen das Staatsoberhaupt – allerdings nicht automatisch von der Verweisung des Art. 60 IV GG erfasst sein und deshalb nicht für den Bundespräsidenten gelten.

Normalerweise muss die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ermitteln (§ 152 StPO), und im Falle eines hinreichenden Tatverdachts hat sie grundsätzlich Anklage zu erheben. Ein solcher hinreichender Tatverdacht liegt, jedenfalls in Bezug auf Vorteilsannahme und -gewährung, nach den obigen Darlegungen m. E. definitiv vor. Auch wenn die Staatsanwaltschaft zunächst keine Ermittlungen für erforderlich hielt, können diese jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht, und das ist unübersehbar der Fall. Es gibt keinen Vertrauensschutz auf den Bestand der Einstellungsverfügung und erst recht nicht auf den Bestand einer Nicht-Ermittlungserklärung der Staatsanwaltschaft. Nach dem jetzigen Stand des allgemein bekannt gewordenen Sachverhalts dürfen die Staatsanwaltschaft und die weisungsbefugten Instanzen bis hinauf zum Justizminister (§§ 146 f. GVG) sich nicht mehr auf den Standpunkt stellen, es lägen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Vorteilannahme im Amt und damit für die Vornahme weiterer Ermittlungen und die Vorbereitung einer Anklage vor. Die Staatsanwaltschaft benötigt allerdings, zumindest für die Erhebung der Anklage gegen den Bundespräsidenten, die Genehmigung des Bundestages. In jedem Fall muss sie so weit ermitteln, dass sie feststellen kann, ob die Genehmigung des Bundestags einzuholen ist, und diese dann einholen.

Geerkens besitzt keine Immunität. Hier kann und muss die Staatsanwaltschaft ermitteln, grundsätzlich mit dem Ziel, Anklage zu erheben.

IV. Zusammenfassung

1. Ministergesetz und Verfassung von Niedersachsen

Alles spricht dafür, dass Bundespräsident Wulff während seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident gegen das Verbot verstoßen hat, Geschenke in Bezug auf sein Amt anzunehmen (§ 5 IV NdsMinG und die 2007 und 2009 von der Regierung Wulff erlassenen Verwaltungsvorschriften über Minister- und Beamtenkorruption). Das Geschenk bestand in der Hinnahme des zinsgünstigen Kredits der Familie Geerkens, der Bezug auf das Amt wurde durch die wiederholte Mitnahme des Egon Geerkens zu Auslandsreisen des Ministerpräsidenten hergestellt. Diese erfolgten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Zusage des Kredits und seiner Gewährung. Beides, das Vorliegen eines Geschenks und den Amtsbezug, lässt Wulff durch seine Anwälte zwar bestreiten. Das erscheint aber nicht nachvollziehbar. Übrigens: Sollte Geerkens von Wulff wirklich allein „aus Freundschaft“ mitgenommen worden sein, wäre das als rechtswidrige Vetternwirtschaft ebenfalls rechtswidrig. Der Ministerpräsident darf als Amtsträger von Verfassungs wegen allein gemeinwohlorientiert handeln.

Möglicherweise liegt im Nichterwähnen des angeblich von Edith Geerkens gewährten Kredits auch ein Verstoß gegen Art. 24 I NdsVerf, wonach die Regierung verp!ichtet ist, Anfragen von Abgeordneten im Landtag grundsätzlich „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten.“

Eine gerichtliche Klärung könnte durch den NdsStGH erfolgen. Vor diesem könnte Christian Wulff auch nach Aufgabe seines Ministerpräsidentenamts, also auch jetzt noch, wegen vorsätzlicher Verletzung der Landesverfassung und eines Landesgesetzes angeklagt werden (Art. 40 NdsVerf). Für eine solche Anklage wäre aber eine Zweidrittel-Mehrheit der Mitglieder des niedersächsischen Landtags erforderlich. Damit ist angesichts der Regierungsmehrheit der CDU/FDP-Koalition in Hannover, jedenfalls vorerst, nicht zu rechnen. Schließlich haben diese Parteien im Bund Wulff de facto zum Bundespräsidenten gemacht.

Auch eine Art „Selbstanzeige“ des Bundespräsidenten beim NdsStGH ist rechtlich möglich. Wenn Wulff es mit seinen wiederholten Erklärungen, er habe stets legal gehandelt, ernst meint, liegt es für ihn eigentlich nahe, einen entsprechenden Antrag beim Staatsgerichtshof zu stellen und auf diese Weise eine gerichtliche Reinigung vom Vorwurf, er habe gegen das niedersächsische Ministergesetz und die Landesverfassung verstoßen, anzustreben.

2. Strafrechtliche Korruptionsvorschriften

Vieles spricht auch dafür, dass Wulff als Ministerpräsident zusätzlich gegen das strafrechtliche Verbot, „für die Dienstausübung einen Vorteil“ anzunehmen, verstoßen hat: Vorteilsannahme im Amt (§ 331 StGB), die dem ministerrechtlichen Verbot in weiten Teilen entspricht. Der Ministerpräsident war Amtsträger im Sinne dieser Vorschrift. Der zinsgünstige Kredit war ein Vorteil, und die Mitnahme des Egon Geerkens erfolgte in Ausübung des Ministerpräsidentenamtes. Dass die Kredithingabe auch “für“ die Dienstausübung erfolgte, legen der enge zeitlichen Zusammenhang zwischen beiden und einer Reihe weiterer Indizien nahe.

Den Verstoß gegen § 331 StGB bestätigt auch ein Vergleich mit dem Fall des Utz Claassen. Der BGH hatte seinen Freispruch durch das LG wegen § 333 StGB, der Parallelvorschrift zu § 331, gerade „noch“ bestätigt. Der Fall Wulff ist – nach den vom BGH als relevant anerkannten Indizien wie der Art des Geschehens, der Höhe und der Verheimlichung des Vorteils – aber sehr viel gravierender, so dass hier die von Claasen geschrammte Grenze zur Strafbarkeit eindeutig überschritten sein dürfte. Wegen der spiegelbildlichen Entsprechung von Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) kommt auch eine Straftat des Egon Geerkens in Betracht.

Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass auch Verstöße gegen die noch gravierenderen Vorschriften der Bestechlichkeit und der Bestechung (§§ 332 und 334 StGB) in Betracht kommen. Während Wulff als Bundespräsident wegen der Straftat der §§ 331 f. StGB Immunität genießt, die aber durch den Bundestag aufgehoben werden kann und ihn ohnehin nur schützt, so lange er das Amt innehat (Art. 60 IV i. V. mit 46 II GG), besitzt Geerkens keine Immunität.

Es geht also nicht mehr nur um schlechte Kommunikation, um die unvollständige Information des Landtags (die allerdings die Landesverfassung verletzt haben kann) oder um den Verstoß gegen das Ministergesetz, es geht um eine Straftat.

3. Versuch einer Einordnung

Jetzt wird wohl auch deutlich, warum Wulff den Geerkens-Kredit mit so großer Energie lange zu verheimlichen suchte, warum er dann die Tatsachen nur scheibchenweise einräumte, meist nur das, was sich ohnehin nicht mehr verbergen ließ, und sich lange nicht persönlich vor der Berliner Presse äußerte, sondern nur über seine Anwälte. Jetzt wird auch klar, warum Wulff – in einer für den Bundespräsidenten ganz ungehörigen Weise – beim Chefredakteur und der Verlagsleitung intervenierte, um die Veröffentlichung des Kredits durch die Bildzeitung vom 13. 12. 2011 in letzter Sekunde noch zu verhindern oder wenigstens zu modifizieren. Denn die rechtliche Beurteilung des jetzt dennoch bekannt gewordenen Kredits und die Umstände seiner Gewährung fördern den dringenden Verdacht nicht nur einer Verletzung des Ministergesetzes, sondern auch einer strafbaren Handlung und damit derart Schlimmes zu Tage, dass er die Tatsachen freiwillig gar nicht offenlegen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich für sein Amt zu disqualifizieren und dessen Fortführung praktisch unmöglich zu machen. Auch bei seiner öffentlichen Entschuldigung vom 22. 12. 2011 bei der er keine Fragen der Journalisten zuließ, und in seinem Fernseh-Interview mit ARD und ZDF Anfang Januar 2012 räumte Wulff nicht etwa einen Gesetzes- oder Verfassungsverstoß ein, sondern suchte den Eindruck zu erwecken, alles sei legal gewesen.

Damit harmoniert die ebenfalls am 22. 12., unmittelbar vor der Entschuldigung, veröffentlichte Erklärung der Staatsanwaltschaft Hannover, sie habe keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat und werde deshalb nicht gegen Wulff ermitteln, und die Wiederholung dieser Erklärung Anfang Januar – trotz des Vorliegens von inzwischen 20 Strafanzeigen gegen Wulff. Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden bis hinauf zum Justizminister (§§ 146 f. GVG). Doch diese Begründung für das Unterlassen von Ermittlungen gegen Wulff lässt sich nicht weiter aufrechterhalten. Die Staatsanwaltschaft muss – trotz des Immunitätsschutzes des Bundespräsidenten hinsichtlich der Straftaten – prüfen, ab wann sie für ihr weiteres Vorgehen gegen Wulff die Genehmigung des Bundestages einholen muss, und diese dann auch einholen.

Geerkens besitzt keine Immunität. Gegen ihn kann die Staatsanwaltschaft ungehindert ermitteln und muss dies von Rechts wegen auch tun – mit dem Ziel der Anklageerhebung.

eigene Stellungnahme zum „guten Schluss“ – Stand 06.02.2012

Es wäre nicht verwunderlich, wenn die – mehrfach von von Arnim dargelegte – Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft im Ergebnis dazu führt, dass keine ernsthaften Ermittlungen gegen Herrn Wulff angestrengt werden (auch nach der Vorabveröffentlichung des Artikels von von Arnim war der Tagespresse zu entnehmen, dass weitere Strafanzeigen wiederum nicht zur Aufnahme entsprechender Ermittlungsverfahren geführt haben – ein nach den vorstehenden Ausführungen nicht wirklich nachvollziehbarer Sachverhalt). Ein insoweit „aufmüpfiger“ Staatsanwalt riskiert seine Laufbahn. Sollte sich allerdings die politische Konstellation, welche den Bundespräsidenten derzeit (noch) schützt, ändern, könnte es durchaus sein, dass dann – und auch erst dann – die ganze Wahrheit an´s Licht kommt. Und das wäre dann nicht nur eine „Causa Wulff“, sondern auch eine „Causa“ der Justiz als solcher. Alles spricht jedenfalls dafür, dass uns diese Dinge noch über Jahre hinweg beschäftigen und begleiten werden – und das ist dann lediglich ein Zeichen dafür, dass in Deutschland inzwischen ein „Durchregieren“ nicht mehr so ohne weiteres möglich ist; wir leben in einer zunehmend zivilisierten Gesellschaft, und das ist gut so.

Neue Entwicklungen – Stand 09.02.2012

Zwei Tage nach Einstellung des Artikels des Prof. von Arnim wurden weitere Vorwürfe gegen Wulff bekannt, u. a. im Zusammenhang mit Urlaubsaufenthalten auf Sylt. In Ergänzung unserer Stellungnahme vom 06.02.2012 folgt hier jetzt die Widergabe einer Presseschau-Meldung aus dem Deutschlandfunk.

aus der Presseschau des Deutschlandfunk am 09.02.2012 um 7:05 h:
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU bemerkt:
„Eventuell macht die Strafjustiz Christian Wulff demnächst ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Freie Kost und Logis für einige Monate oder Jahre in einem hochge-sicherten, großzügig ausgelegten Etablissement. Zu Christian Wulff ist alles gesagt, und es ist auch von allen auf jede nur denkbare Weise gesagt. Allein die Justiz hat sich noch nicht verbindlich geäußert. (Hervorhebung von uns) Nach Lage der Dinge ist es nur eine Frage der Zeit. Dann hätte die Republik nicht nur erstmals einen Bundespräsidenten, der ungestraft Lügner genannt werden darf, sondern ebenfalls erstmals einen – dann wohl endlich doch – ehemaligen Bundespräsidenten, dem die Justiz ein Angebot gemacht hat – garantiert ohne Gegenleistung Wulffs.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch festgehalten (Stand 01.10.2013):

Wulff ist nicht mehr Bundespräsident. Die Häme, welche über ihn ausgegossen wurde – und hier nehmen wir den obigen Artikel ausdrücklich aus! – hatte Formen, die bedenklich stimmen. Die strafrechtliche Abarbeitung ist noch nicht abgeschlossen. Wulff hat eine Einstellung gegen Auflagen (Zahlung von Bußgeld) abgelehnt, Anklage ist erhoben. Gemessen an dem früheren Medienrummel ist das derzeit durchgeführte Verfahren fast schon beschämend bedeutungslos …

Ein Gedanke zu „zu Bundespräsident Christian Wulff“

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