„Ich kann doch nix dafür …“

… das ist die uns allen bekannte kindliche Formulierung für das Argument, auf welches sich Juristen berufen, wenn sie für ihren Mandanten Schuldunfähigkeit einwenden: Grundsätz-lich haftet der Han­delnde in unserer Rechtsordnung nur dann, wenn er sich schuldhaft, also vorwerfbar verhält. Ver­schul­den ist Vorausset­z­ung dafür, dass der Mensch für sein Handeln haftet.

Jedoch können die Folgen auch eines „unschuldigen“ Verhaltens den Handelnden treffen. Dies zeigt der Sachverhalt, über den das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte (Urteil vom 09.06.2011, AZ 5 Sa 509/2010; 1. Instanz: ArbG Neu-münster).

Ein langjährig beschäftigter Ar­beit­­nehmer hatte in der Folge des Scheiterns seiner Ehe eine manisch-depressive Erkrankung ent­wick­elt, derentwegen er lange arbeitsunfähig war. Zurück im Betrieb be­lei­digte er insbesondere seine Vorgesetzte mit sexuell „eingefärbten“ Formulierungen massiv, und als er dies trotz entsprechender Abmahnung wiederum tat, wurde er fristlos gekündigt. Schon in der ers­ten In­stanz wurde seine Klage zu­rück­gewie-sen. Zuvor ist das beleidigende Verhalten des Klägers of­fen­bar vollständig aufgeklärt und zur Überzeugung des Gerichts festgestellt  worden. Im Laufe des Prozesses hat das Amtsgericht we­gen der Erkrankung des Klägers für diesen auch eine Betreuung eingerichtet.

In der Berufungsinstanz hat der Kläger dann nur noch seine Schuldunfähigkeit eingewen-det. Das LAG hat jedoch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Grund hierfür war insbesondere, dass der Klä­ger mit seinem zur Kündigung führenden Verhalten seine Vor-gesetzte gezielt im Beisein anderer Mit­arbeiter der Firma (diese wurden von ihm extra aufgefordert, nicht in die Pause zu gehen, weil er gleich „eine Bom­be platzen lassen“ werde) sexuell beleidigt und herabgesetzt hat.

Auch dann, wenn klar ist, dass der Arbeitnehmer schuldunfähig ist, muss ein der-artiges, den Be­triebs­frieden massiv störendes Verhalten vom Arbeitgeber nicht hingenommen werden. Das Risiko, das sich aus der Beschäftigung eines schuldunfähigen Arbeitnehmers ergibt, muss der Arbeitnehmer bei derartigen Verhaltensweisen nicht tragen – er darf kündigen und sich von diesem Arbeitnehmer tren­nen.

Dies ist durchaus keine Durchbrechung des Grundsatzes dahin, dass der schuldunfähig Handelnde nicht hafte – Grund für die Entscheidung ist gar nicht die Frage der Haftung des Arbeitsnehmers für sein konkretes Handeln, sondern eine Bewertung der Zumut-barkeit weiterer Beschäftigung für den Arbeitgeber, und diese Abwägung ist nachvoll-ziehbarer Weise in beiden Instanzen zugunsten des Arbeitgebers ausgefallen. Ohne­hin ist es ja so, dass nicht der Arbeit­ge­ber, sondern der betroffene Ar­beit­nehmer selbst die Risiken ihrer/seiner Erkrankung zu tragen hat. Wie weit der Arbeitgeber die­ses Risiko trägt, ergibt sich aus den Regelungen zur Lohnfortzahlung. Zeigt sich, dass der Arbeitneh­mer für die ihm anvertraute Tätigkeit krankheitsbedingt dauerhaft ungeeignet ist, kann er wegen seiner Erkrankung gekündigt werden. Die Unzumutbarkeit des Verhaltens des hier betroffenen Ar­beit­neh­mers war so deutlich, dass das Gericht auch eine fristlose Kündigung als gerechtfertigt an­ge­se­hen hat.

Quellen:
http://www.kostenlose-urteile.de/LAGSchleswig-Holstein_5Sa50910_LAGSchleswig-HolsteinFristloseKuendigungauchbeimoeglicherSchuldunfaehigkeitwegenDepressionskrankheitzulaessig.news11822.htm;
oder: http://m.lto.de/de/html/nachrichten/3536/lag_schleswig_holstein_kuendigung_ohne_frist_und_schuld_moeglich/

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