Eltern-Unterhalt: Wenn es im Blätterwald rauscht …

 

zum BGH-Urteil vom 12. Februar 2014, AZ: XII ZB 607/12

Zur Zeit wird die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Presse heftig diskutiert, und man hat den Eindruck, hier werde ein neuer „Krieg zwischen den Generationen“ inszeniert.  Ge­rechtfertigt aber ist das nicht.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass Kinder auch dann zahlen müssen, wenn über Jahre kein Kontakt zum pflegebedürftigen Elternteil bestand, dessen Einkommen nicht ausreicht, um die Pflegekosten zu tragen. Eine Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt besteht auch dann nicht, wenn vor vielen Jahren der Elternteil, der Unterhalt benötigt, einseitig den Kontakt zum Kind abgebrochen hat.

In dem entschiedenen Fall hatte die Stadt Bremen vom Antragsgegner – dem „Kind“ – die nachträgliche Zahlung von in drei Jahren angefallenen Kosten des Pfle­geheims verlangt. Der Sohn weigerte sich, den Elternunterhalt für seinen Vater zu ent­richten und gab an, jahr­zehn­te­lang keinen Kontakt zu seinem Vater gehabt zu haben. Das Testament des Anfang 2012 ver­storbenen Vaters enterbt den Sohn, setzt ihn also auf den Pflichtteil – woran man sieht, dass die Schilderung des Sohnes dahin, er habe zu seinem Vater „kein Verhältnis mehr“ gehabt, wohl zutrifft.

Mit Entrüstung wird z. B. in der Presse die Nachträglichkeit der Zahlung von immerhin gut 9.000 € kommentiert. Das aber liegt nur daran, dass die Stadt Bremen den Unterhalt ent­sprechend früh geltend gemacht hatte. Rückwirkend wird nur Unterhalt geschuldet für solche Zeiten, für die man in Verzug gesetzt worden war. Also: Ein ganz normaler Vorgang, kein Raum für Entrüstung.

Auch ansonsten aber ist das Urteil nicht wirklich überraschend – überraschend ist eher die lebhafte Reaktion in der Presse. Denn ein Wegfall des Unterhaltsanspruchs (Verwirkung) setzt eine schwere Verfehlung des Unterhaltsberechtigten voraus. Der Kontaktabbruch durch den Vater sei zwar – so der BGH – eine Verfehlung, aber keine schwere. Die ge-setzliche Re­gelung findet sich in § 1611 Abs. I BGB. Wer die Kommentierungen nachliest, der weiß, dass eine schwere Verfehlung nur bei wirklich krassen Sachverhalten an­ge­nom­men wird, so z. B. bei tätlichen Angriffen oder bei Bedrohungen bzw. Denunziationen (mit dem Ziel, dem an­de­ren beruflich Schaden zuzufügen). Bei derartigen „dicken Hunden“ wird eine Verwir­kung von Unterhaltsansprüchen angenommen. Das gilt aber vor allem in solchen Fällen, in denen die El­tern die Betreuung und Versorgung ihrer kleinen Kinder grob vernachlässigen – ihr Kind also praktisch „aussetzen“ – solche Sachverhalte gibt es häufiger, und eine grobe Ver­nach­lässigung des Kindeswohls in einem Alter, in dem man Kindern damit schwersten Scha­den zufügen kann, ist ganz klar ein Grund, einen späteren Elternunterhaltsanspruch aus­zu­schließen.

Hier aber war es eben anders: Der Vater hatte sich die ersten 18 Jahre um seinen Sohn ge­kümmert und damit „gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt“. Dass er sich dann später mit seinem Sohn nicht mehr verstand und deshalb auch keinen Kontakt mehr pflegte, ihn sogar enterbte (also auf den Pflichtteil setzte), hat ihm – dem Sohn – keine Schä­den derart zugefügt, wie dies insbesondere bei frühkindlicher Vernachlässigung der Fall ist.

Ohnehin werden „Kinder“ nur dann herangezogen, wenn sie leistungsfähig sind. Die Sozial­ämter übernehmen zunächst die nicht durch eigene Einkünfte der Eltern gedeckten Kosten, und in dieser Höhe geht dann der Unterhaltsanspruch der Eltern auf die Ämter über, die sich dann an die Kinder wenden. Sind mehrere Kinder vorhanden, so haften sie mitunter alle – aber alle nur nach Einkommens- und Vermögensstand. Dabei kommt es darauf an, ob ein so­genanntes unterhaltsrelevantes Einkommen des verpflichteten Kindes vorhanden ist.

Der Sozialhilfeträger braucht deshalb Angaben zum Einkommen und dem Vermögen des be­tref­fenden „Kindes“, ggfs. mehrerer. Wichtig ist, dass in vollem Umfang Auskunft erteilt wird. Wer das nicht macht, hat schlechte Karten – zu Recht.

Dann wird berechnet, ob ein Unterhaltsanspruch besteht. Diese Be­rechnung ist hoch kom­pli­ziert, eigene Kinder (Enkel des Unterhaltsberechtigten) spie­len dabei ebenso eine Rolle wie z. B. berufliche Fahrtkosten, die Höhe von Versicherungsbei­trägen, etwaige Kosten der Finan­zier­ung des selbstbewohnten Hauses (oder die Wohnkosten, also die Miete und Nebenkosten), ein eventuelles Einkommen des Ehepartners (Schwieger­kind des Unter­haltsberechtigten!) oder aber dessen Einkommenslosigkeit (vorrangiger Un­ter­halts­an­spruch!), und weiter alle anderen Arten von Ver­bind­lichkeiten des un­ter­halts­ver­pflich­te­ten „Kindes“, soweit diesen Verbindlichkeiten vernünftige Umstände zugrunde liegen (z. B. monatliche Zahlungen für den Aufbau einer eigenen, zusätzlichen und privaten Al­ters­vor­sor­ge!). Auch das (sonstige) Vermögen kann eine Rolle spielen, nicht aber die Eigentums­wohnung oder das Eigenheim des „Kindes“, da dies ein Teil der eigenen Al­ters­vor­sor­ge ist, auf welche er­wachs­ene Kinder An­spruch haben (gilt allerdings nur für die selbstgenutzte Immobilie, BGH, XII ZR 269/12).

Tatsächlich werden nur solche „Kinder“ effektiv in Anspruch genommen, die sich einen Bei­trag zum Elternunterhalt auch wirklich leisten können. Nur solche „Kinder“ müssen tat­säch­lich zahlen, die sich allenfalls bei echten Lux­us-Ausgaben, ansonsten aber nicht wirklich ein­schränken müssen. das ist ein echter Unterschied zu dem „umgekehrten“ Unterhaltsanspruch der Kinder gegenüber den Eltern. Eltern trifft eine gesteigerte Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt für das nicht selbst betreute Kind, und notfalls muss ein (nicht qualifizierter) Vater zwei oder drei Arbeitsstellen (auch an Wochenenden) wahrnehmen, um den Unterhalt zu zah­len.  Und: Alles, was über der­zeit 1.000 € Ein­kom­men hi­naus geht, ist für den Kin­des­un­ter­halt zur Ver­fü­gung zu stellen. Im Ver­hält­nis zum Kin­des­un­ter­halt ist die Leis­tung von El­tern­un­ter­halt – iro­nisch for­mu­liert – eine Sache für Leu­te, die wirk­lich kei­ne Not lei­den.

Und im Übrigen ist es in den seltensten Fällen so, dass die Zahlungen der „Kinder“ den Unterhalt der Eltern voll ab­decken – meist sind die Aufwendungen der Sozialämter sehr viel höher als das, was vom unterhaltsverpflichteten Abkömmling verlangt wird!

/p