oder:
Welche Straftäter sind rentenunwürdig?
Und ab wann wirkt ein Antrag auf DDR-Opfer-Rente?
Zahllose Menschen haben bis 1989 versucht, sich der früheren DDR und ihrem diktatorischen Regime durch Flucht zu entziehen. Wer dabei erwischt wurde (ohne an einer Grenzanlage sein Leben zu verlieren), der wurde wegen „Republikflucht“ zu teilweise drakonischen Strafen verurteilt.
Das diesen Menschen widerfahrene Unrecht sollte nach dem Willen unseres Parlamentes im Rahmen des Möglichen zumindest ein wenig wieder gut gemacht werden. Hierzu hat der Bundestag am 29.10.1992 mit dem „Gesetz über die strafrechtliche Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG)“ Regelungen zu Gunsten solcher Personen getroffen, die zu Unrecht während der Zeit der früheren DDR mehr als 180 Tage lang in Strafhaft gesessen hatten. Soweit der jeweiligen Verurteilung Straftatbestände zugrunde lagen, die eines freiheitlich-demokratischen Systems nicht würdig sind, besteht auf Antrag die Möglichkeit, solche Unrechts-Urteile durch eine neue gerichtliche Entscheidung aufzuheben und die davon Betroffenen damit zu rehabilitieren.
Ist eine solche gerichtliche Rehabilitierung erfolgt, haben diese Personen (wenn ihr Einkommen gewisse Grenzen nicht überschreitet) Anspruch auf einen Nachteilsausgleich durch eine „besondere Zuwendung“ in Form einer Rente. Einzelheiten sind im § 17 a StrReHaG geregelt.
Der Fall
Ein jetzt in Nordrhein-Westfalen (NW) lebender früherer DDR-Bürger, der wegen versuchter „Republikflucht“ drei Jahre im Gefängnis gesessen hatte, stellte aufgrund entsprechender Presse- und TV-Berichte bei der Bezirksregierung Arnsberg (in deren Bezirk er wohnte) einen Rentenantrag. Er wurde darauf hingewiesen, dass eine Rehabilitations-entscheidung des zuständigen Gerichts erforderlich sei. Das gerichtliche Rehabilitations-verfahren wurde daraufhin durchgeführt, die alten DDR-Urteile wurden aufgehoben. Aber bei der Bewilligung der Rente, um die es im Anschluss daran ging, zeigte sich das für den hier betroffenen Bürger zuständige Landgericht Chemnitz gleich zweifach sehr „knauserig“.
A.
Der erste Versuch des LG Chemnitz, die Rechte des betroffenen NW- Bürgers zu beschnei-den (AZ.: BSHR 25/12 GE), beruhte darauf, dass ein anderer DDR-Bürger in der früheren DDR sowohl zu Unrecht als auch zu Recht zu Haftstrafen verurteilt worden war, und zwar zu Recht wegen schwerkrimineller Taten in Richtung Mord, sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung.
Nach der ursprünglichen Fassung des StrReHaG hatte aber auch ein solcher Schwerverbrecher Anspruch auf Zahlung einer DDR-Opferrente! Solchen untragbaren Fällen hat der Gesetzgeber dann Ende 2010 einen Riegel vorgeschoben: In dem neuen Absatz 7 des § 17 a StrReHaG wurde bestimmt, dass solche Personen keine Rente bekommen, die zu Recht wegen einer anderen Straftat zu einer Strafe von drei Jahren oder mehr verurteilt worden waren, sofern die Entscheidung in einer Auskunft aus dem Zentralregister enthalten (also noch nicht aus dem Register gelöscht) ist.
Diese Regelung wendete das Landgericht Chemnitz auf den erwähnten NW-Bürger an, und zwar deshalb, weil dieser Mitte der 70er Jahre als Jugendlicher im Alter von 17-18 Jahren in der DDR „aus lauter Langeweile“ eine Reihe von Eigentumsdelikten begangen hatte. Die insoweit in der DDR verhängten Strafen waren – gemessen an dem Strafniveau in der BRD – drakonisch; der NW-Neubürger war insoweit zu einer Gesamtstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden. Das Landgericht Chemnitz sah dieser „Jugendsünden“ wegen den NW-Mitbürger nicht als „rentenwürdig“ an, obwohl klar ist und war, dass der gesetz-liche Ausschluss eines Rentenrechtes nur für Schwerkriminelle gedacht war und auf „un-seren“ NW-Bürger auch nicht ansatzweise passte …
Diese Entscheidung erging Anfang 2012 – das Landgericht in Chemnitz hinterließ dabei den Eindruck, der alten „DDR-Rechtsprechung“ immer noch verhaftet zu sein.
Das OLG Dresden (AZ.: 1 Reha Ws 102/12) hat diese Entscheidung dann aber auf die da-gegen eingelegte Beschwerde im November 2012 mit der Begründung aufgehoben, dass ein Rentenausschluss für Schwerkriminelle nur dann greife, wenn die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr auf der Grundlage einer einzigen strafbaren Handlung erfolgt sei – das war bei den mehreren Diebstahlstaten, die im DDR-Juristen-Deutsch „verbrecherische Diebstähle sozialistischen Eigentums“ darstellten, nicht der Fall. So wurde also dem NW-Bürger die Rente dem Grunde nach doch bewilligt.
B.
Und dann ging es um die Festsetzung der Rentenleistung als solcher, und hierbei zeigte sich das Landgericht in Chemnitz zum zweiten Mal sehr „zugeknöpft“. Es entstand Streit darüber, ab wann die Rente zu leisten war!
Das Landgericht Chemnitz (AZ.: BSRH 61/13 GE) legte nämlich nicht den Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung (in Arnsberg) zugrunde, sondern statt dessen den Tag, an welchem der damals gestellte Antrag von Arnsberg an die örtlich zuständige Landesdirektion Chemnitz weitergeleitet worden war – und das war rund zwei Jahre nach der Antragstellung!
Die ersten beiden Jahre nach der Stellung des Antrages wollte das LG Chemnitz also nicht „verrentet“ sehen, und zwar mit dem Argument, der Bürger habe den Antrag bei einer un-zuständigen Behörde gestellt – und nur die Antragstellung bei der zuständigen Behörde sei wirksam.
Auch hiergegen musste wieder Beschwerde eingelegt werden. „Unser“ NW-Bürger konnte doch gar nicht feststellen, welche Verwaltungsstelle zuständig sei – einen solchen Antrag stellt man ja nun mal nicht „alle Tage“. Für jeden normalen Menschen liegt auf der Hand, dass es nicht Aufgabe des rechtssuchenden Bürgers sein kann, festzustellen, welche Behör-den für solche Leistungen zuständig sind. Es muss reichen, dass der Bürger die tatsächlich angegangene Behörde nach sachlich vernünftigen Maßstäben auswählt – und das war bei unserem NW-Bürger der Fall.
Aus der Website der Bezirksregierung Arnsberg ist bis heute (!) zu entnehmen, dass diese Stelle für Anträge früherer DDR-Bürger zuständig sei. Das OLG Dresden (AZ.: 1 Reha Ws 51/13) musste also die zuständigen drei Richter der Kammer des LG Chemnitz erneut „be-lehren“. Beim zweiten Mal erfolgte dies durch einen kurzen Hinweis auf § 16 SGB I (erstes Buch des Sozialgesetzbuches). Darin ist ausdrücklich geregelt, dass Sozialleistungen zwar beim zuständigen Leistungsträger zu beantragen sind, Anträge jedoch auch von allen anderen Leistungsträgern entgegenzunehmen sind (§ 16 I SGB I), und dass Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden, von diesem unverzüglich an den Zuständigen weiterzuleiten sind (§ 16 II SGB I); ausdrücklich geregelt ist weiter, dass dann, wenn die Sozialleistung von einem Antrag abhängig ist, dieser Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt gilt, zu dem er bei einem (also nicht unbedingt dem zuständigen!) Leis-tungsträger eingegangen ist.
Ergänzend bestimmt § 16 III SGB I, dass die Leistungsträger verpflichtet sind darauf hinzuwirken, dass „klare und sachdienliche Anträge“ gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden – auch die Stellung unklarer und nicht wirklich sachdienlicher Anträge hat mithin Wirkung, wobei die Leistungsträger, also der Staat, dafür zu sorgen haben, dass etwaige Mängel behoben werden.
Woraus sich – was von Anfang an zu erwarten war – ergibt, dass der frühere DDR-Bürger ab dem Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkend die Opferausgleichsrente erhält.
C.
Diese beläuft sich im Übrigen pauschal auf einen Betrag von monatlich 250 € – es geht also nicht um „die Welt“; wer aber wenig Geld hat, für den können 250 € „viel Asche“ sein, zu-mal diese Leistung nicht mit anderen Leistungen (z. B. Arbeitslosengeld II bzw. „Hartz IV“) verrechnet werden.
Die Kosten aller vorstehend erwähnten, insgesamt über rund zwei Jahre betriebenen Verfahren wurden der Staatskasse auferlegt. „Selbstverständlich“ ist dabei: Das LG Chemnitz hat sämtliche gestellten Anträge auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, und zwar immer erst zusammen mit der Endentscheidung, so dass der hier betroffene NW-Bürger immer das Risiko zu tragen hatte, seinen Anwalt selbst bezahlen zu müssen … die Gewährung eines effektiven Zugangs zu den Gerichten sieht anders aus, die Praxis des LG Chemnitz ist klar verfassungswidrig (s. z. B. BVerfG in NJW-RR 93, 382). Über Prozess-kostenhilfeanträge (heute heißen die „Verfahrenskostenhilfeantrag“) ist alsbald und vor einem etwaigen Verhandlungstermin zu entscheiden, da der Antragsteller die Möglichkeit bekommen muss, seinen Antrag rechtzeitig vor Erlass einer Endentscheidung (oder vor einem kostenträchtigen Termin) zurückzunehmen (dann hat er nur die eigenen, aber nicht die Gerichtskosten und evtl. Kosten der Gegenseite zu tragen).
Das LG Chemnitz hat so den Eindruck hinterlassen, anwaltlich vertretene Antragsteller soweit wie nur eben möglich „klein halten“ zu wollen, indem nicht vorab (wie das nicht nur vorgeschrieben, sondern selbstverständlich auch sonst üblich ist) über Verfahrenskosten-hilfeanträge entschieden worden ist, sondern immer erst mit der Endentscheidung, gegen welche der hilfesuchende bedürftige Bürger dann gleich – mit vollem Kostenrisiko! – in die Beschwerde gehen muss, will er sich dagegen noch zur Wehr setzen. Das ist aus unserer Sicht eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine mehr als bedenkliche Spruch-praxis des heutigen LG Chemnitz.
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